Hallo zusammen,
ich nehme hier gerade vier Diskussionen war, die gleichzeitig geführt werden, die ich aber gerne mal trennen würde:
- macht es Sinn, das Thema sexualisierte Gewalt als zusätzlichen Ausschlussgrund in die Satzung aufzunehmen?
- ist die vom Bundesvorstand vorgeschlagene Formulierung sinnvoll?
- ergeben sich dadurch zusätzliche Haftungsrisiken für den BdP? (bis hierhin bezieht es sich auf den Antrag)
- auf welcher Basis und mit welchen Maßstäben schließen wir grundsätzlich Menschen aus dem BdP aus (das ist nicht Gegenstand des Antrags!)
Ich habe mich in den vergangenen Jahren aus sehr vielen Perspektiven und in verschiedenen Rollen mit diesem Thema beschäftigt und möchte zu diesen drei Fragen gerne ein paar Gedankenmit euch teilen.
Macht es Sinn, das Thema sexualisierte Gewalt als zusätzlichen Ausschlussgrund in die Satzung aufzunehmen?
Ich glaube hierüber sind wir uns alle einig - auch wenn natürlich bereits heute Ausschlussverfahren aufgrund sexualisierter Gewalt möglich sind und durchgeführt werden, begrüße ich diese klare Formulierung sehr. Sie ist Ausdruck einer Grundhaltung, dass wir den Schutz von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen - und sie schafft Transparenz darüber, dass der Vereinsausschluss (als letztes Mittel) auch zu den Konsequenzen in solchen Verfahren gehört.
Ist die vom Bundesvorstand vorgeschlagene Formulierung sinnvoll?
Ich möchte hier nochmals bekräftigen, was Hannes bereits gesagt hat und dabei die Brücke zur Frage der Haftung schlagen: Der Gesetzgeber gesteht Vereinen zu, nach eigenem Ermessen über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern zu entscheiden - diese sogenannte Vereinsautonomie ist im Grundgesetz (!) verankert und hat nichts mit Willkür oder fehlender „Rechtsstaatlichkeit“ zu tun.
Diese Vereinsautonomie gesteht den Vereinen sehr weitgehende Möglichkeiten zu, zu gestalten, auf Basis welcher Kriterien und unter Anwendung welcher Verfahren Mitglieder aus einem Verein ausgeschlossen werden können (das ist ständige Rechtssprechung und es gibt dazu übrigens auch ganz aktuell einen schönen Beschluss des Verfassungsgerichts). Das geht soweit, dass sich die gerichtliche Kontrolle auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens beschränkt, es wird also ausschließlich von einem Gericht geprüft
- ob der Ausschluss auf Basis einer Regelung in der Satzung erfolgt
- ob das Ausschlussverfahren entsprechend der Satzung/Ausschlussordnung durchgeführt wurde
- ob im Verfahren nicht gegen die Satzung oder Gesetze verstoßen wurde
- ob der Ausschluss nicht willkürlich erfolgt
Das heißt, die Bundesversammlung des BdP als oberstes beschlussfassendes Gremium hat die Hoheit, die Regelungen für ein Vereinsausschlussverfahren festzulegen!
Und in meinen Augen tut sie sehr gut daran, hier keine strafrechtlich definierten Begrifflichkeiten zu verwenden, sondern sich auf die Begrifflichkeiten zu konzentrieren, die im Vereinskontext (hier im Schutzkonzept) definiert sind. Denn um jetzt endlich die Brücke zur Frage des Haftungsrechts zu schlagen: Es ist doch vielmehr umgekehrt - in meinen Augen würde genau dann ein Haftungsrisiko entstehen, wenn wir die juristischen Begrifflichkeiten im Ausschlussverfahren verwenden würden. Denn um es mal salopp zu sagen: Ich darf nur den einen Mörder nennen, der wegen Mordes rechtskräftig verurteilt wurde (sonst könnte die Person gegen mich vorgehen) - ich kann aber die Person problemlos aus meinem Verein ausschließen wenn die Satzung den begründetem Verdacht, andere Menschen schwer oder tödlich zu verletzen als Ausschlussgrund nennt und ich glaubhaft darlegen kann, wie ich zu diesem begründeten Verdacht komme. Es braucht dazu also weder die Erfüllung eines strafrechtlich relevanten Tatbestands noch eines Urteils. Vielmehr steht es uns auch gar nicht zu, ein solches Urteil zu fällen (das ist dem Staat vorbehalten!), sodass sich die Vereinsgerichtsbarkeit immer nur auf begründete Verdachtsmomente beziehen kann und darf.
Last but not least: Ich durfte im letzten Jahr die Bundesversammlung der DPSG moderieren - die dort ebenfalls das Ausüben und Ermöglichen von sexualisierter Gewalt (dort noch ergänzt um das Thema spirituelle Gewalt und das Verbergen von solchen Handlungen) in ihre Ausschlussordnung/Satzung aufgenommen hat. Das ist also kein Alleingang des BdP sondern gänge Praxis in Kinder- und Jugendverbänden!
Ergeben sich dadurch zusätzliche Haftungsrisiken für den BdP?
Dies ist natürlich eine berechtigte Frage, allerdings finde ich die einfach mal locker in den Raum gestellte These, dass sich der Bund durch Aufnahme des Ausschlussgrundes der sexualisierten Gewalt in seine Satzung angreifbar macht und sich daraus Schadenersatzansprüche ableiten lassen gewagt und so alleine stehend auch nicht nachvollziehbar. Ich finde hier wird sehr leichtfertig mit abstrakten Risiken für den BdP argumentiert, die einer sachlichen Diskussion nicht zuträglich sind.
Um von der abstrakten Gefahr wegzukommen schauen wir uns das ganze doch mal genauer an:
- Klar ist: Auch auf Basis der bestehenden Satzung finden Ausschlussverfahren aufgrund Fällen sexualiserter Gewalt statt. Die Frage ist also: Welche zusätzlichen Risiken birgt die neue Formulierung? Und welche bisherigen Risiken werden reduziert?
- Ich sehe für den BdP keinerlei zusätzliches Haftungsrisiko, das durch die Aufnahme dieses Ausschlussgrundes in die Bundessatzung entsteht - da entsprechende Fälle in der Vergangenheit auch ohne die explizite Satzungsregelung zum Vereinsauschluss geführt und einer juritischen Prüfung standgehalten haben. Die neue Satzungsregelung würde aber das Risiko von Formfehlern in solchen Verfahren reduzieren, da die formale Herleitung, weshalb sexualisierte Gewalt in einem Kinder- und Jugendverband vereinsschädigend ist, entfällt.
- Ein zusätzliches Haftungsrisiko könnte potentiell entstehen, wenn die Satzung klar definierte juritische Begriffe (z.B. das Vorliegen bestimmter Straftaten) als Ausschlussgrund festlegen würde und der BdP sich dann ohne Vorliegen eines entsprechenden Urteils auf diese beziehen würde - daher sollten wir dies unbedingt nicht tun (siehe oben!)
Unabhängig davon und ganz grundsätzlich: Wenn eine Person, die aus dem BdP ausgeschlossen werden soll, juristisch gegen einen solchen Vereinsauschluss vorgeht, dann bindet das immer Ressourcen und es besteht (trotz des in kritischen Fällen eingeholten anwaltlichen Rats) immer das Risiko, dass aus solchen Verfahren Kosten für den BdP entstehen. Ich bin der festen Überzeugung: In den Fällen, in denen ein Interventionsteam zur Erkenntnis gelangt ist, dass der Vereinsausschluss der einzige Weg ist, um unserem Schutzauftrag nachzukommen, in diesen Fällen müssen wir als Kinder- und Jugendverband diesen Weg gehen und dann müssen wir bereit sein, solch kalkulierbaren Risiken zu tragen!
Auf welcher Basis und mit welchen Maßstäben schließen wir grundsätzlich Menschen aus dem BdP aus?
Dies ist in meinen Augen eine Diskussion, die den Rahmen dieser Plattform hier sprengen würde - sie ist aber auch nicht Gegenstand des Antrags.
Erlaubt mir bitte dennoch zwei Gedanken zu den beiträgen hier in der Diskussion:
- Ich nehme hier gerade realtiv viele kritische und emotionale Diskussionspunkte aus einer persönlich miteinander verbunden Gruppe an Menschen war. Sollte eure Meinung und Emotionalität zu diesem Thema mit einem konkreten Fall zu tun haben, macht es unter Umständen mehr Sinn, diese im Kontext dieses Falles zu diskutieren und/oder euren Wunsch an die Bundesversammlung klar zu benennen, sodass die Diskussion hier für alle Delegierten gewinnbringend bleibt.
- Ich persönlich finde es reichlich absurd, hier irgendwelche Parallelen zum Zerfall des BDP zu sehen - ich nehme vielmehr wahr, dass der BdP hier über alle Landesverbände hinweg sehr eng beisammen steht und sehr konstruktiv über alle Ebenen hinweg an den damit verbundenen Herausforderungen arbeitet!
Viele Grüße und herzlich Gut Pfad
Guschtl
PS: Bei aller Diskussion über den Vereinsausschluss und um hier nicht einen falschen Eindruck zu erwecken ist mir persönlich als Mitglied des AK intakt wichtig, dass ein Vereinsausschluss nicht am Anfang sondern am Ende eines Verfahrens steht, in dem sich Menschen mit ganz verschiedenen Perspektiven (meist im Rahmen eines sogenannten Interventionsteams) mit einem Fall beschäftigen. Hier gilt es den Interessen der Betroffenen ebenso gerecht zu werden wie den Interessen des BdP und auch den Interessen der Person unter Verdacht. Gerade für heranwachsende Menschen sehen wir einen Erziehungsauftrag und versuchen diesem gemeinsam z.B. mit Fachberatungsstellen gerecht zu werden. Dennoch kann es Fälle geben, in denen ein Verbleib der Person unter Verdacht im BdP aus verschiedenen Gründen nicht möglich oder auch nicht zu verantworten ist. Nur um genau diese Fälle geht es also - ich finde es sehr gut, dass der Bundesvorstand das mit der kann-Bestimmung in seinem Antrag verdeutlicht. Es geht hier nicht um einen Automatismus, sondern eine Entscheidung im Einzelfall.