Die Landesversammlung möge beschließen:
Im BdP Landesverband Niedersachsen e.V. sind alle jungen Menschen willkommen – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Körper, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrem sozialen oder familiären Hintergrund. Wir sind stolz darauf, allen jungen Menschen einen Ort bieten zu können, an dem sie sich ausprobieren können und ihre Persönlichkeit frei von Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung entwickeln und entfalten können. Das ist für uns Ausdruck unserer pfadfinderischen Werte und Regeln.
Zu dieser Vielfalt gehört für uns selbstverständlich auch eine Meinungsvielfalt: Als politisch unabhängiger Jugendverband ordnen wir uns keiner parteilichen oder ideologischen Ausrichtung zu. Wir respektieren einander und wir freuen uns darüber, dass es unterschiedliche politische Ansichten in unserem Verband gibt.
Diese Vielfalt und die Freiheit jedes unserer Mitglieder sich zu entfalten halten wir jedoch für unvereinbar mit Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass, Rassismus, Nationalismus, Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersliebenden, Antisemitismus oder Feindseligkeit gegenüber Frauen, Inter*- und Trans*menschen. Diskriminierung, Hass und Ausgrenzung, wie ihn rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien, Gruppierungen und Bewegungen vertreten, können wir in unseren Gruppen nicht dulden. Sie bedrohen viele unserer Mitglieder in ihrer Persönlichkeit, aber sie bedrohen auch unsere Identität als vielfältiger Jugendverband.
Im Bewusstsein unserer Geschichte betrachten wir mit äußerster Sorge, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Ansichten wieder stärkeres Gewicht in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion finden und dass rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien, Gruppierungen und Bewegungen wie die Alternative für Deutschland (AfD), Pegida oder die Identitäre Bewegung mehr Gehör und Aufmerksamkeit zu erhalten scheinen. Vor allem das zunehmend offensive Auftreten von rechtsradikalen Vereinen und Verbänden, die Traditionen und Symbole der Bündischen Jugend, der Jugendbewegung und der Pfadfinder*innen imitieren und für ihre politischen Zwecke ausnutzen, erschreckt uns und ruft uns zum Widerspruch auf.
Wir unterstützen unsere Partnerverbände in den Ringen deutscher Pfadfinder*innenverbände (rdp) und im Landesjugendring Niedersachsen e.V. in ihren Positionieren und bekräftigen die vom Deutschen Bundesjugendring e.V. und vom Landesjugendring Niedersachsen e.V. gefassten Beschlüsse gegenüber der AfD. Wir behalten es uns vor, Mitglieder und Mitarbeiter*innen etwaiger Gruppierungen, Vereine und Parteien nach § 4, Abs. 2 der Bundessatzung zu behandeln und setzen uns dafür ein, die Diskussion auf Bundesebene sowie im Landesjugendring weiterzuführen.
Wir lassen uns unsere politische Unabhängigkeit, unsere Vielfalt und unser Pfadfinden nicht nehmen und werden allen Versuchen entschieden entgegentreten, diese unsere Werte zu bekämpfen, zu diskreditieren oder zu missbrauchen.
Antragsteller*innen: Lukas Kison (kison, LB Kommunikation), Jannis Gehl (Janni, LB Ringe), Martin Danner (LB Ranger/Rover), Tobias Brauer (Tobi, LB Ringe), Philipp Fabian (Nilpferd, Landesvorstand), Johannes Holz (Mola, Landesvorstand), Britta Kaule (Landesvorstand), Max Grimm (Landesvorstand)
Begründung:
Seit einiger Zeit lässt sich beobachten, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen wieder an Zulauf gewinnen. Auffälligster Ausdruck dieser Entwicklung ist, dass die AfD in immer mehr Landesparlamenten, im Bundestag und im Europaparlament vertreten ist. Aber auch, dass erstmals nach 1945 wieder Großdemonstrationen unter rechtem Vorzeichen stattfanden und -finden (Stichwort: Pegida), legt diesen Schluss nah. Beide, AfD und Pegida, werden selbst von konservativen Politikwissenschaftler*innen und Historiker*innen als rechte Vereinigungen begriffen: Konservative und nationalliberale Positionen seien in den letzten Jahren immer mehr in den Hintergrund getreten, stattdessen dominierten mehr und mehr rechtsnationale bis rechtsradikale Ansichten; zudem lasse sich nicht bestreiten, dass Verbindungen zu eindeutig rechtsextremen Kreisen bestehen, insbesondere zur so genannten Neuen Rechten, wie dem Institut für Staatspolitik oder der Identitären Bewegung. Aus diesem Grund werden einige ihrer Funktionär*innen bereits vom Verfassungsschutz beobachtet (http://www.taz.de/!5487098/).
Das öffentliche Auftreten ihrer Anhänger*innen, Mitglieder und Funktionär*innen unterscheidet sich massiv von allem, was den politischen Diskurs in der Bundesrepublik bisher geprägt hat. Ihr Programm, ihre Aussagen, das Handeln ihrer Fraktionen, aber auch die parteiinterne Streitkultur zeigen, dass sie an einer konstruktiven Zusammenarbeit nicht interessiert ist – eine solche konstruktive Zusammenarbeit ist jedoch nicht nur im Grundgesetz als Fundament dieser Republik angelegt, sondern überhaupt notwendig für das Funktionieren einer Demokratie: Um zu Ergebnissen zu kommen, die möglichst vielen Menschen zugute kommen, sind nicht nur Austausch und Kompromiss, sondern auch gegenseitiges Verständnis und Respekt gegenüber allen in Deutschland und Europa lebenden Menschen nötig, egal ob sie dem eigenen Ideal entsprechen oder nicht. Die AfD aber hat offenbar nicht mal ein Problem damit, deutschen Staatsbürger*innen ebendiese abzusprechen, wenn sie nicht deutscher Herkunft seien. Eine solche Definition dessen, wer deutsch sei, widerspricht dem Grundgesetz und offenbart einen völkischen Nationalismus (das weist Hajo Funke nach: http://www.fritz-bauer-institut.de/fileadmin/user_upload/uploadsFBI/einsicht/Einsicht-18.pdf ab Seite 25).
In ihrem Grundsatzprogramm von 2016 (https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/01/2016-06-27_afd-grundsatzprogramm_web-version.pdf) findet sich, wogegen und wofür diese Partei eintritt: Die Europäische Union in ihrer derzeitigen Gestalt soll ersetzt werden durch ein "Europa der Vaterländer" (S. 17). Frauen sollen bestenfalls "'nur' Mutter und Hausfrau" sein (S. 41). Genau dieses Familienbild, "das klassische Rollenverständnis von Mann", ist es auch, das in Familie und Schule vermittelt werden soll (S. 55), um eine "natürlich gewachsene Kultur und Tradition" zu bewahren (ebd.). Sie pflegt das Bild einer national homogen Gesellschaft, in der Frauen und Nicht-Heterosexuelle bitte in ihren Subkulturen bleiben sollen (d.h. am Herd oder im Wandschrank), in der Geflüchtete – der Genfer Flüchtlingskonvention widersprechend – bitte zu Hause bleiben sollen und in der Nicht-Deutsche nach ihrer Nützlichkeit ausgewählt werden sollen – oder abgeschoben werden, wenn sie nicht ins Bild passen (https://www.youtube.com/watch?v=YE0OSaoJ7YY ab 09:40 min). Sie verkennt dabei, dass die Kultur, wie sie heute ist, sich in 3000 Jahren mit zahlreichen Einflüssen herausgebildet hat (und wir von griechischer Philosophie, einer ihrer Grundlagen, ohne Muslime und ohne Juden heute nichts mehr wissen würden). Und sie verkennt, dass die angeblich einzig naturgemäße Seinsweise des Menschen sich erst in den letzten 200–300 Jahren herausgebildet hat. Sie hält es für ideologisch, wenn Kinder und Jugendliche sich mit Vielfalt beschäftigen, propagiert aber selbst eine ideologische Indoktrination, indem sie fordert, dass ausschließlich die klassischen Familien-, Rollen- und Gesellschaftsbilder vermittelt werden sollen, wie die AfD sie sich vorstellt. Mit Hannah Arendt kann man das Weltanschauung bezeichnen, in der die reale Welt an das Bild anpassen muss, das man von ihr hat, und nicht andersherum sich das eigene Bild von der Welt an die reale Welt anpasst – Arendt zufolge ist das eine Vorstufe totalitären Denkens ("Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft"). Eine Pädagogik, die die Bedürfnisse, Identitäten und Interessen alle jungen Menschen berücksichtig und ernst nimmt, statt sie in die eine oder andere Richtung zu drängen, überhaupt die freie Entfaltung jedes einzelnen Menschen, das darf es für die AfD, Pegida und die Neue Rechte nicht geben.
Doch selbst wenn man bis hierhin noch sagen könnten: Wir sind doch ein pluraler Jugendverband, Grenzkontrollen und Geldwechseln bei Auslandsfahrten, das können wir alles noch ertragen, so gibt es auch zwei Punkte, die uns selbst massiv bedrohen:
Die AfD möchte das Strafmündigkeitsalter auf 12 Jahre senken und das Jugendstrafrecht massiv verschärfen. Das soll am Ende darauf hinauslaufen, dass man ab 12 strafrechtlich fast schon wie ein Erwachsener behandelt werden können soll. Zwischen unmündigen Kindern, ohne eigenen Willen, ohne eigene Bedürfnisse und ohne eigene Meinung, auf der einen Seite und voll verantwortlichen Erwachsenen auf der anderen Seite scheint es keine Jugend mehr zu geben. Wenn es aber keine Jugend mehr gibt, dann kann es auch keine Jugendverbände mehr geben, die sich genau dafür gebildet haben: für ein Recht auf Jugend.
In rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien scheint als einzige Form außerschulischer Erziehung diejenige in der Familie zu existieren – und die Familie wird gegenüber der Schule sogar präferiert. Von freien Trägern der Jugendarbeit ist dort keine Rede. Das ist nachvollziehbar, denn freie Träger der Jugendarbeit fordern ein Eigenrecht der Jugend ein, das im Weltbild der Rechtspopulist*innen nicht existiert. Zudem sind freie Träger der Jugendarbeit eben vor allem eins: frei, also potentiell unkontrollierbar. Dass das für eine Partei, die nicht möchte, dass Kinder und Jugendliche mit einem anderen als dem ihren konfrontiert werden, nicht hinnehmbar, ist offenkundig.
Doch auch all unsere Werte und Regeln stehen dem entgegen: Wie lässt sich mit den dargestellten Inhalten rechtspopulistischer Gesinnung vereinbaren, wenn wir sagen „Ich will den Anderen achten.“, „Ich will hilfsbereit und rücksichtsvoll sein.“, „Ich will zur Freundschaft aller Pfadfinderinnen und Pfadfinder einsetzen.“, „Ich will die Natur kennen lernen und helfen, sie zu erhalten.“ oder „Ich will dem Frieden einsetzen und mich für die Gemeinschaft einsetzen, in der ich lebe.“? Diesen Regeln entspricht der Kern unserer Pädagogik, wie die Pädagogische Konzeption (https://meinbdp.de/download/attachments/3113050/Paedagogische_Konzeption.pdf?api=v2) sie in der Präambel schon zusammenfasst: „Pfadfinden heißt für uns, selbstbewusst an unseren Zielen zu arbeiten und uns persönlich ständig weiterzuentwickeln. Dabei steht der junge Mensch als ganzheitliche Persönlichkeit im Mittelpunkt. Wir wollen als verantwortliche Bürgerinnen und Bürger eine demokratische, weltoffene Gesellschaft mitgestalten und mittragen.“ Bei unseren Mitgliedern machen wir „keinen Unterschied, welcher Nationalität, Hautfarbe, Religion oder sozialer Herkunft sie sind.“ Es erschließt sich von selbst, dass eine Erziehung, wie Rechtspopulist*innen sie fordern, und unsere pädagogischen Methoden und Ziele sich einander unvereinbar gegenüber stehen.
Auch rein praktisch stellt sich sich diese Frage uns mittlerweile vermehrt: Es gehen Anfragen in der LGS von Stämmen dazu ein, weil Veranstaltungen zu Gesprächen mit Politiker*innen geplant werden. Wir führen als Landesverband mit dem Format „Pfadi trifft …“ selbst solche Treffen durch. Natürlich kommunizieren wir als Verband auch direkt mit Politiker*innen im Land- und Bundestag. Und auch im Vorfeld des Bundeslagers gab es im BdP eine scharfe Diskussion auf Facebook, ob man die AfD zur dortigen Podiumsdiskussion einladen dürfe oder nicht. Und diese Diskussion ist auf Bundesebene noch lange nicht abgeschlossen. Die Frage ist dabei immer: Was machen wir mit dieser Partei?
Aus genau diesen Gründen haben sich in den vergangenen Jahren schon mehrere Landesjugendringe sowie der Deutsche Bundesjugendring (https://www.dbjr.de/fileadmin/Positionen/2016/2016-DBJR-vv-Position_Rechtspopulist_innen-entgegentreten.pdf) mit dieser Partei auseinandergesetzt und praktische wie inhaltliche Positionierungen beschlossen. Auch der Landesjugendring Niedersachsen (https://www.ljr.de/fileadmin/user_upload/Beschluss_UmgangAFD.pdf) hat im letzten Jahr eine Resolution dazu gefasst, die auch in unserem Verband diskutiert werden konnte und an der wir mitgewirkt haben. Auch unsere Partnerverbände in den Ringen deutscher Pfadfinder*innenverbänden (rdp) VCP und die DPSG haben sich entsprechend positioniert und sogar politische Bildungsprogramme gegen Rechtspopulismus und rechte Hetze aufgelegt.
Wir wollen dieses Thema aber weiter fassen. Es geht nicht um eine Partei an sich – es geht um die politische Einstellung und Ideologie, die hinter dieser Partei und anderen, im Antragstext beispielhaft genannten Gruppierungen geht. Nichtsdestotrotz erachten wir es als sinnvoll, diese Partei und verwandte Gruppierungen explizit zu nennen, um dem Beschluss die entsprechende Klarheit zu verschaffen, damit wir als Verband damit auch arbeiten können, z.B. im Rahmen der eben genannten praktischen Fragen, oder in unserer politischen Bildungsarbeit.
Damit geben wir nicht unsere politische Unabhängigkeit auf. Dabei ist wichtig zu betonen, dass wir nicht unpolitisch sind und nicht sein können, auch wenn es von einigen gerne so behauptet wird. Was soll denn „unpolitisch“ bedeuten? Natürlich sind wir politisch: Wir wählen Delegierte für den Landesjugendring, die uns jugendpolitisch vertreten. Wir haben LB Ringe, die uns als Verband gegenüber Politiker*innen vertreten. Wir haben konkrete Anliegen an die Politik als Verband, und sei es nur, dass wir finanzielle Unterstützung für unsere Angebote benötigen. Wir machen politische Bildungsveranstaltungen und -einheiten auf unseren Ausbildungskursen. Wir praktizieren Demokratie und Mitbestimmung in unseren Gruppen tagtäglich. In einer demokratischen Gesellschaft ist jede unserer Handlungen, in der wir mit anderen Menschen in Kontakt kommen, in der einen oder anderen Weise politisch, denn Politik im Wortsinne bedeutet nicht mehr als: Gemeinwesen.
Politische Unabhängigkeit heißt also nicht, unpolitisch zu sein – den Fehler hat die Jugendbewegung schon gemacht: In der Ablehnung jeder Politik hat sie sich völlig versagt in der kritischen Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit; die meisten der Jugendbewegten wurden im NS-Regime nicht Widerstandskämpfer*innen, sondern begrüßten den 30. Januar 1933 als Anbeginn der „Neuen Zeit“, die sie doch so lang herbeigesehnt und -gesungen hatten, sie begrüßten, dass nun eine Partei an die Macht kam, die sich als genauso „unpolitisch“ gerierte wie sie selbst. AfD und Pegida sind nicht die NSDAP! Doch wer weiß, was und wer da noch kommt, ob unter deren oder einem neuen Banner. ("Unpolitisch" nennen sich beide übrigens auch gern, und setzen dem den "gesunden Menschenverstand" entgegen, der, wie Hannah Arendt nachweist, schon immer die beste Begründung für Antisemitismus und völkische Ideologien war.) – Wir sind nicht die klassische deutsche Jugendbewegung! Doch wenn wir uns in ihre Tradition stellen (Präambel PädKonz), dann sollten wir auch aus ihrer Geschichte lernen, ihre Fehler zu vermeiden suchen und uns klar abgrenzen von denjenigen, die all das, wofür wir stehen, zu bekämpfen trachten. Eine wehrhafte Demokratie, ein wehrhaft demokratischer Verein, kann seine Demokratie und seine Toleranz nur erhalten, wenn er denjenigen, die sie zu zerstören gedenken, die nichts als Intoleranz vertreten, keine Toleranz zuerkennt.
Sollte eine solche Partei in tatsächliche politische Verantwortung gelangen, darüber befinden dürfen, wie viel Geld oder anderweitige Unterstützung Jugendarbeit erhält, dann können wir nur verlieren – egal, was wir jetzt tun.
Die weitere Begründung erfolgt mündlich.